2. Die Mikrobiologie des Weins

Mrz 12, 2021 | Anleitungen, Fruchtweine

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Was steckt im Wein?

In diesem Kapitel möchte ich den für die alkoholische Gärung verantwortlichen Organismus, die Bäcker- oder Bierhefe Saccharomyces cerevisiae, kurz vorstellen und die Frage behandeln, was bei der Gärung eigentlich passiert und worin der Nutzen für die Hefe besteht. Hierzu werde ich auf die Stoffwechselvorgänge in der Zelle eingehen.

„Saccharomyces“ kommt aus dem griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt „Zuckerpilz“, „cerevisiae“ ist lateinisch und bedeutet „vom Bier“. Saccharomyces cerevisiae oder abgekürzt S. cereivisae gehört systematisch zu den Ascomyceten (Schlauchpilzen) und zählt mit den Basidiomyceten (Ständerpilze: Champignon und Co.) zu den höheren Pilzen. Pilze sind weder Tier noch Pflanze; wie die Pflanzen besitzen sie eine Zellwand, die sich in ihrem Aufbau freilich von der pflanzlichen Zellwand deutlich unterscheidet. Außerdem können sie im Gegensatz zu den Pflanzen keine Photosynthese betreiben, sie sind also nicht in der Lage, Sonnenlicht als Energiequelle zu nutzen. Aber ihre Zellen besitzen alle wesentlichen Bestandteile der tierischen und der pflanzlichen Zelle: Einen echten Zellkern und verschiedene Organellen. Es handelt sich um Eukaryonten im Gegensatz zu den Prokaryonten, den Bakterien. Die zellulären Prozesse der Hefezellen ähneln denen der anderen eukaryontischen Zellen oft derart, dass sich die einfach zu handhabende Bäckerhefe als Modellorganismus für so genannte „höhere Zellen“ etabliert hat.

Das Geheimnis der Gärung und der Hefe wurde vor nicht einmal zweihundert Jahren gelüftet. Obwohl die Menschheit seit Urzeiten mit Hefe Teig zum Gehen brachte und Bier und Wein herstellte, wusste man doch wenig über die Hefe und deren Beschaffenheit. So findet man zum Beispiel in mittelalterlichen Rezepten oft den Hinweis, dass der Wein besser gärt, wenn man zuvor Sauerteig in den Gärbehälter eingebracht hat. Sauerteig enthält natürliche Hefen, die so in den Wein gelangen konnten, wo sie die alkoholische Gärung in Gang brachten. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Begriff fermentum aus dem lateinischen, der sowohl Sauerteig als auch Gärstoff oder Gärung bedeutet. Man wusste also aus Erfahrung, dass ein Zusammenhang bestehen musste zwischen dem, was zu einem lockeren Teig führt, und der alkoholischen Gärung. Waren die Hefen erst einmal in einem Fass, so setzten sie sich auf dem rauen Holz regelrecht fest und wurden über allerlei Holzwerkzeug verbreitet. Somit hat die Hefe, wenn auch über Jahrtausende unerkannt, dem Winzer schon immer bei der Arbeit geholfen. Trotzdem war eine saubere Gärung immer auch eine Glückssache. Nach heutigen Standards wären die Weine der Antike wohl kaum genießbar, sie enthielten vermutlich nur wenig Alkohol und waren sehr sauer. Die Römer kochten deshalb den Wein in Bleitöpfen ein, da sich dabei süße Bleiverbindungen im Wein lösten und den Geschmack des Weins verbesserten. Leider zogen sich die Herrschaften dabei eine schleichende Bleivergiftung zu. Die Unsitte, Weine mit Bleiverbindungen zu „verbessern“, hielt sich bis ins 19. Jahrhundert. Dazu ein Zitat des Toxikologen Joseph Jakob Plenk (1785):

„Boshafte, gewinnsüchtige Weinhändler pflegen unreif ausgepresste oder saure Weine mit zerriebenem Blei, mit Bleiglätte, Mennig, Bleiweiß und Bleizucker zu versüßen. Wenn der lange in Gefäßen, die aus Zinn und Blei bereitet worden, wie auch Most, Bier oder Apfelwein, die lange in bleiernen Geschirren aufbehalten worden, verursachen allgemeine Bleikoliken und oft Lähmung ganzer Familien und vieler Menschen.“

Die Römer sind tot (sicherlich nicht nur wegen des bleihaltigen Weins), und da wir heute besseren und gesünderen Wein herstellen können, sollten wir das auch tun.

Aber zurück zur Entdeckung der Hefe. Seit der Erfindung des Mikroskops durch Antoni van Leeuwenhoek (1632 – 1723) war bekannt, dass Hefe aus kleinen, runden Kügelchen besteht. Trotzdem war unklar, ob es sich bei diesen Kügelchen um Lebewesen handelt. Viele Forscher, darunter Größen wie der Chemiker Justus von Liebig (1803 – 1873) vertraten die Ansicht, dass die Gärung ein rein chemischer Vorgang wäre. Louis Pasteur (1822-1895) konnte schließlich um 1860 nachweisen, dass die Gärung durch lebende Organismen hervorgerufen wird, und dass die dafür nötigen Substanzen (die Enzyme, griechisch en zyma: in der Hefe) mit der Hefe in Verbindung stehen.

Die „Hefepilze“ sind birnenförmige bis zylindrische Zellen, die einzeln oder in Sprossketten vereint vorkommen können (Abb. 3.1). Die Länge einer solchen Zelle beträgt knapp 10 µm, also rund 1/100 mm. Natürlich kommen sie unter anderem im Boden vor und gelangen von dort in Blüten und Früchten. Fruchtsäfte sind für sie ein ideales Nährmedium. Bekommt eine überreife Frucht den typisch „scharfen“ Beigeschmack von Alkohol, so waren Hefen am Werk. Alle Kulturhefen wurden aus solchen Wildhefen gezüchtet.

Abb. 3.1: Saccharomyces cerevisiae im Lichtmikroskop. Für diese Aufnahme wurde ein Zeiss-Axioskop mit einer CCD-Kamera verwendet.

 

Die Bäckerhefe S. cerevisiae wird sowohl für die Herstellung von Hefeteig, Bier und von Wein benutzt, auch wenn sich die verwendeten Stämme in ihrem Anwendungsprofil unterscheiden. Über Jahrhunderte hinweg wurden die Stämme auf die verschiedenen Anforderungen hin selektioniert: Soll der Teig gut aufgehen, so ist eine rasche Produktion von Gas, präziser Kohlendioxid (Summenformel CO2) gewünscht. Etwas Zucker im Teig ist hierbei hilfreich. Stämme für die Alkoholherstellung sollen eine hohe Toleranz gegen Alkohol und Schwefeldioxid aufweisen und den Geschmack des Getränks positiv beeinflussen.

Zwei wesentliche Eigenschaften des Hefestoffwechsels sind also die Bildung großer Mengen Kohlendioxid und die Anreicherung von Alkohol oder präziser Ethanol im Medium. Hierbei wird offenbar Zucker verbraucht. Die Summenformel ist:

C6H12O6 –> 2C2H5OH + 2CO2

Aus einem Molekül (Teilchen) Glucose entstehen zwei Moleküle Ethanol und zwei Moleküle Kohlendioxid. Das Kohlendioxid ist zunächst im Wasser gelöst und entweicht schließlich in Forum von Gasbläschen.

Bei der alkoholischen Gärung, so wird dieser Prozess genannt, kann schließlich so viel Alkohol angereichert werden, bis die Hefen daran zugrunde gehen. Aber warum bilden die Zellen ein Zellgift, denn um nichts anderes handelt es sich beim Alkohol, welches sie letztlich selbst gefährdet?

Zum besseren Verständnis ist es notwendig, sich etwas näher mit den Stoffwechselvorgängen zu beschäftigen, die der Energiegewinnung dienen. Man kann diese Vorgänge in drei wesentliche Abschnitte unterteilen (Abb. 3.2): Die Glycolyse, den Citratzyclus und die Atmungskette. Diese Stoffwechselwege sind in fast allen Lebewesen gleich, sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen und vielen Mikroorganismen.

Abb. 3.2: Schematische Darstellung des Energiestoffwechsels einer atmenden Zelle

Glucose, auch als Traubenzucker bekannt, ist der „Treibstoff“ der Zelle. Zunächst wird die Glucose in der so genannten Glycolyse durch mehrere enzymatische Reaktionen gespalten. Die Spaltungsprodukte werden umgewandelt in zwei Moleküle Pyruvat. Ein Teil der bei diesem Abbau freiwerdenden Reaktionswärme wird dazu benutzt, um pro eingesetztem Molekül Glucose genau zwei Moleküle ATP (Adenosintriphosphat) zu bilden. Hierbei handelt es sich um einen universellen biochemischen Energieüberträger der Zelle, der bei vielen Energie zehrenden Vorgängen in der Zelle verbraucht wird.

Die Spaltung der Glucose in der Glycolyse geht einher mit einer Oxidation, also einer Abgabe von Wasserstoff [H2].Hierbei ist ein Coenzym namens NAD (Nicotinamidadenindinucleotid) beteiligt, auf das der in der Glycolyse entstandene Wasserstoff übertragen wird. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der Entstehung von so genannten Reduktionsäquivalenten, denn das mit Wasserstoff beladene Coenzym kann den Wasserstoff auf andere Moleküle übertragen, die somit eine Reduktion, das Gegenteil einer Oxidation, erfahren.

Doch kommen wir zurück zum Pyruvat, dem primären Produkt der Glykolyse. Das Pyruvat wird nun durch eine oxidative Decarboxylierung in Acetat bzw. Essigsäure überführt und sofort an das sogenannte Coenzym A gebunden; es entsteht Acetyl-CoA. Oxidation bedeutet wieder das Freiwerden von Reduktionsäquivalenten, Decarboxylierung bedeutet die Abspaltung von Kohlendioxid (CO2). So wird das Kohlenstoffgerüst des Ausgangsmoleküls Pyruvat von drei Kohlenstoffatomen auf zwei verkürzt. Anschließend wird der Acetatanteil des Acetyl-CoA in eine Art „biochemischen Kreisverkehr“ eingeschleust, den Citratcyclus. Hier wird auf Acetat auf ein Akzeptormolekül mit vier Kohlenstoffatomen (C4) übertragen. Das dabei entstandene C6-Molekül durchläuft nun weitere Decarboxylierungs- und Oxidationsschritte, bis das ursprüngliche Akzeptormolekül für das Acetat wieder regeneriert ist und für einen weiteren Zyklus zur Verfügung steht. Auch hierbei entstehen Energie, Kohlendioxid und Reduktionsäquivalente.

Energie braucht die Zelle zum Leben und zum Wachsen, Kohlendioxid kann entweichen. Was wird nun aus den Reduktionsäquivalenten, die sich beim Abbau der Glucose anhäufen? Das NAD, an welches die Reduktionsäquivalente gebunden sind, ist kostbar und muss regeneriert werden, damit es wieder für die Aufnahme neuer Reduktionsäquivalente dienen kann. Die atmende Zelle schleust dazu die Reduktionsäquivalente in die Atmungskette ein. Hier wird der Wasserstoff [H2] auf Sauerstoff (O2) übertragen, es entsteht Wasser (H2O). Damit aber nicht genug: Dies ist nicht nur ein eleganter Weg, um nicht gebrauchte Reduktionsäquivalente zu beseitigen, dabei entsteht auch noch eine Menge Energie in Form von ATP. Bei der Atmung dient also ein anorganischer Stoff, der Sauerstoff, als Endakzeptor für die Reduktionsäquivalente, die beim Abbau der Glucose anfallen.

Werfen Sie nun noch einen Blick auf Abbildung 3.2 und stellen sie sich vor, der Sauerstoff aus der Luft würde als Endakzeptor für die Reduktionsäquivalente nicht mehr zur Verfügung stehen. Was würde wohl passieren? Die Glycolyse und der Citratcyclus würden zum Erliegen kommen, weil sich Reduktionsäquivalente in der Zelle anhäufen würden. Letztlich würde alles NAD der Zelle als NADH2 vorliegen, wodurch die Glycolyse nicht mehr ablaufen kann. Die Zelle könnte keine Energie mehr produzieren und würde zugrunde gehen. Wohin also mit den Reduktionsäquivalenten?

Gärende Zellen, und es gibt viele verschiedene Gärungstypen, haben eine Lösung für dieses Problem gefunden. Eine Gärung ist definiert als ein ATP-erzeugender Prozeß (z.B. die Glycolyse), bei der eine organische Verbindung (z.B. die Glucose) sowohl als Donator als auch Akzeptor für die Reduktionsäquivalente dient. Im einfachsten Fall muß das Pyruvat direkt herhalten, um die Reduktionsäquivalente aufzunehmen. Dabei entsteht Milchsäure (Lactat). Da das Pyruvat verbraucht wird, kann es nicht mehr in den Citratcyclus eingehen. Schon haben sie eine Gärung kennen gelernt, die Milchsäuregärung. Muskelzellen beherrschen die Milchsäuregärung bei Sauerstoffmangel oder auch Milchsäurebakterien. Diese sind an der Herstellung von Lebensmitteln wie Dickmilch, Joghurt, Sauerteig, Sauerkraut oder Salami beteiligt.

Ganz so einfach kann die Gärung der Hefe nicht sein, denn wir wissen ja, daß Ethanol (CH3CH2OH) das Endprodukt ist, ein Molekül mit zwei Kohlenstoffatomen; Pyruvat besitzt aber drei. Außerdem entsteht in der Glycolyse kein Kohlendioxid, die Bildung von Kohlendioxid ist aber ein wesentliches Merkmal der alkoholischen Gärung. Die Lösung ist ganz einfach: Pyruvat wird zunächst decarboxyliert, wobei Acetaldehyd entsteht. Dies ist ein Zellgift und muss möglichst schnell in Ethanol überführt werden, wobei Reduktionsäquivalente verbraucht werden (Abb. 3.3). Die dabei benötigten Enzyme heißen Pyruvatdecarboxylase und Alkoholdehydrogenase. Bei der Entgiftung von Alkohol in der Leber findet dieser Prozess übrigens in umgekehrter Reihenfolge statt. Das dabei zeitweise entstehende Acetaldehyd kann bei übermäßigen Alkoholgenuss die Zellen der Leber entscheidend schädigen, wodurch die Bildung einer Leberzirrhose gefördert wird.

Abb. 3.3: Schematische Darstellung des Energiestoffwechsels einer gärenden Hefezelle

Typisch für Gärungen ist die geringe Energieausbeute im Vergleich zur Atmung, denn pro verbrauchtem Molekül Glucose stehen der Zelle nur die zwei Moleküle ATP aus der Glycolyse zur Verfügung. Eine atmende Zelle kann mit Hilfe des Citratcyclus und der Atmungskette bis zu 38 Moleküle ATP beim Abbau von einem Molekül Glucose bilden. Das bedeutet, dass die Hefe beim Gären mehr Glucose umsetzen muss, um diesen Energiemangel beim Wachstum möglichst auszugleichen. Damit ist eine rasche Bildung von großen Mengen Ethanol verbunden. Da Ethanol ein Zellgift ist und in hohen Konzentrationen die Hefe letztlich umbringt, erscheint dies zunächst als unsinnig. Hierbei muss man jedoch bedenken, dass die wenigsten anderen Mikroorganismen so alkoholtolerant sind wie die Hefen. Durch die systematische Vergiftung ihrer näheren Umgebung hemmt die Hefe das Wachstum von Nahrungskonkurrenten und kann sich so letztlich doch gegenüber Schimmelpilzen und Bakterien durchsetzten.

Ethanol ist sicherlich das wichtigste Gärungsprodukt der Hefen, aber nicht das einzige. So sorgt zum Beispiel die Bildung kleiner Mengen Schwefelwasserstoff (H2S) beim Vergären einiger Fruchtsorten für einen Geruch nach faulen Eiern; keine Angst, dieser Geruch ist selten intensiv und ist spätestens im fertigen Wein verschwunden. Ein weiteres Nebenprodukt ist Methanol, ein Alkohol mit nur einem Kohlenstoffatom (H3COH). Methanol kann auch beim Abbau von Pektinen frei werden, aber dazu später mehr. Methanol ist zwar giftig, ist aber in kleinen, unbedenklichen Mengen immer in Weinen enthalten. Längerkettige Alkohole entstehen ebenfalls und werden als Fuselöle zusammen gefasst. Diese sind auf der einen Seite für das Bukett des Weines mitverantwortlich, können aber auch zum Kopfschmerz am Tag danach führen. Die Bildung von Glycerin (H2COH-HCOH-H2COH) wirkt sich positiv auf den Wein aus, denn es schmeckt süßlich und dickt die Flüssigkeit förmlich ein. Dadurch haftet der Wein länger an den Schleimhäuten und ist hauptverantwortlich für die Nachhaltigkeit des Weingeschmacks. Die Freisetzung von giftiger Blausäure können Sie vermeiden, wenn Sie Steinfrüchte schonend zerkleinern und die Kerne vollständig entfernen. Weiterhin entstehen noch organische Säuren wie z.B. die Milchsäure.

Sie sehen, dass eine Gärung doch eine recht komplizierte Angelegenheit ist. Wie gut, dass die Hefe diese Arbeit so gut für uns erledigt. Hier möchte ich Ihnen nochmals die Reinzuchthefen ans Herz legen. Sicherlich ist es lästig, immer wieder die Hefen zu kaufen. Aber diese Hefen (eine Starterkultur für maximal 50 l Wein kostet nur rund € 3) sind daraufhin optimiert, möglichst wenig unerwünschte Nebenprodukte zu produzieren. Eine „wilde Gärung“, bei der man auf die Tätigkeit der wenigen Hefen hofft, die den Früchten anhaften, gibt zunächst den Bakterien und dem Schimmel Zeit, ihr Unwesen zu treiben. Anschließend produziert man mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Kopfschmerzwein. Und sie werden sich wundern, wie unterschiedlich ansonsten in der Herstellung identische Weine schmecken können, wenn unterschiedliche Reinzuchthefen verwendet wurden. Probieren Sie das mal mit einem einfachen herzustellenden Wein aus Apfelsaft!

Neben Hefen können allerlei andere Mikroorganismen ihr Unwesen im Wein treiben. Ich möchte Ihnen noch zwei Bakterienordnungen vorstellen, deren Vertreter sowohl Schädlinge oder als Nützlinge sein können: Milchsäurebakterien und Essigsäurebakterien.

Milchsäurebakterien

Ein altes Winzersprichwort sagt:
„Wenn der neue Wein blüht, gärt es im alten!“

Das Sprichwort beschreibt ein gewohntes Phänomen bei der Weinbereitung: Im Frühling, wenn die Reben blühen, kommt es in den Weinfässern mit bereits durchgegorenem Wein nochmals zu einer Gärung. Heute weiß man, das diese „zweite“ Gärung nicht von Hefen, sondern von Milchsäurebakterien verursacht wird. Da die Milchsäurebakterien Wärme lieben, kommt es erst im Frühling, wenn die Temperaturen im Weinkeller steigen, zur zweiten Gärung.

Traditionell nutzt der Mensch Milchsäurebakterien zur Konservierung von Lebensmitteln wie Sauerkraut, Joghurt oder Dauerwürsten (z.B. Salami). Auch im Sauerteig tummeln sich Milchsäurebakterien. Typisch für Milchsäurebakterien ist die Bildung von Lactat (Milchsäure).

Auch bei der zweiten Weingärung bilden die Milchsäurebakterien Lactat . Der Chemismus dieser Gärung ist in Abb. 3.4 dargestellt: Ein Molekül Malat (Apfelsäure) wird in je ein Molekül Lactat und Kohlendioxid gespalten. Gärungen dieser Art werden malolaktische Gärungen genannt.

Jedes Malatmolekül enthält zwei Säuregruppen (COOH), das Lactat enthält nur noch eine Säuregruppe. Insgesamt kommt es deshalb zu einer Verringerung der Gesamtsäure. Die malolaktische Gärung wird deshalb oft auch als „biologischer Säureabbau“ (BSA) bezeichnet. Die BSA wird heute gezielt genutzt, um den Säuregehalt von Traubenweinen zu reduzieren.

Was auf dem Papier einfach erscheint, erweist sich in der Praxis aber oft als schwierig. Milchsäurebakterien bilden zum Beispiel Histamine, die bei empfindlichen Menschen Kopfschmerzen auslösen können, und viele im Wein unerwünschte geschmacksaktive Substanzen. Sie können im Extremfall massive Weinkrankheiten verursachen, z.B. den Mannitstich, den Geranienton und vor allem den Milchsäurestich (siehe Kapitel „Weinfehler“). Eine BSA muss deshalb sorgfältig gesteuert, überwacht und rechtzeitig gestoppt werden, damit sich keine durch Milchsäurebakterien bedingten Weinfehler einstellen können.

Abb. 3.4: Chemismus der malolaktischen Gärung.

Da der Hobbywinzer kaum über die dafür nötige Analytik verfügt, muss er eine BSA beim Traubenwein vermeiden. Bei Fruchtweinen sollte generell keine BSA erfolgen, denn viele Früchte enthalten große Mengen Zitronensäure (Citrat). Beim Abbau von Zitronensäure durch Milchsäurebakterien entsteht neben Lactat auch die unerwünschten Verbindungen Essigsäure und Acetoin.

Essigsäurebakterien

Ihr Name ist Programm: Essigsäurebakterien sind dafür verantwortlich, dass Wein zu Essig wird.

Was bei der Essigherstellung gewünscht ist, ist bei der Weinbereitung eindeutig unerwünscht: In einem Wein werden bereits geringe Essigmengen als Fehlton wahrgenommen (siehe auch Kapitel „Weinfehler“).

Bei dieser Gelegenheit möchte ich mit einem gängigen Missverständnis aufräumen. Früher wurde der Vorgang, bei dem Essig aus Wein hergestellt wurde, als „Essigsäuregärung“ bezeichnet. Das ist aber falsch, auch wenn dieser Begriff noch häufig verwendet wird. Essigsäurebakterien oxidieren zur Energiegewinnung Ethanol zu Essigsäure nach dem Reaktionsschema in Abb. 3.5. Da bei dieser Reaktion Sauerstoff verbraucht wird, kann es sich nicht um eine Gärung handeln.

Abb. 3.5: Oxidativer Abbau von Ethanol zu Essigsäure durch Essigsäurebakterien

Tatsächlich handelt es sich um eine Atmung. Essigsäurebakterien „veratmen“ den Alkohol allerdings nicht zu CO2 und Wasser, die Umwandlung bleibt auf Stufe der Essigsäure „stecken“. Deshalb wird die Essigsäure ausgeschieden. Dieser Vorgang wird deshalb korrekt als „unvollständige Oxidation“ bezeichnet.

Essigsäurebakterien sind, wie sie nun wissen, abhängig vom Luftsauerstoff. Deshalb ist es auch verhältnismäßig einfach, sich vor diesen Bakterien zu schützen, indem jeder unnötigen Kontakt des Weins mit Luftsauerstoff vermieden wird. Dies gilt insbesondere für Weinansätze, die noch einen geringen Alkoholgehalt aufweisen, da Essigsäurebakterien weniger alkoholtolerant sind als viele Reinzuchthefen. Ab einem Alkoholgehalt von etwa 12% können Essigsäurebakterien nicht existieren. Verschließen sie deshalb die Gäransätze konsequent mit Gärröhrchen, durch die das entstehende Kohlendioxid entweichen kann und die gleichzeitig das Eindringen von Luft verhindern. Weiterhin kann so Essig- oder Taufliegenarten der Gattung Drosophila der Zugang zum Wein verwehrt werden. Diese Störenfriede lieben faulendes und in Gärung übergehendes Obst und werden magisch vom Geruch des gärenden Weins angezogen. Wie der deutsche Name der Fliegen andeutet, übertragen diese Fliegen Essigsäurebakterien und dürfen deshalb nicht in den Wein gelangen. Im Hochsommer findet man die Tiere zu Dutzenden ertrunken im Wasser des Röhrchens. Sie sollten darauf achten, dass das Wasser nicht in den Wein gelangt.

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